Die sieben "Mythen", die es zu beseitigen gilt, sind die folgenden:
Baker gibt zu, daß eine derartige Vorstellung äußerst beunruhigend und beängstigend wäre. Jedoch sei sie in keiner Weise berechtigt, da das System der beiden Treuhandstellen diese Möglichkeit völlig ausschließe. Es würden lediglich die bisher bestehenden Möglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden aufrechterhalten, bei der Verbrechensbekämpfung unter bestimmten Umständen auf das Abhören von Telefongesprächen zurückgreifen zu können.
Sicher sei es auch im Sinne von Bürgerrechtlern, wenn durch diese Abhörmöglichkeiten Verbrecher gefaßt würden. Bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität gebe es nur ein einziges ähnlich erfolgversprechendes Mittel, nämlich das "Umdrehen" von Bandenmitgliedern. Da dieses jedoch in der Regel unter Bedrohung der betreffenden Person geschehe, sei es moralisch sehr bedenklich und führe auch in vielen Fällen zu falschen Anschuldigungen. Dies könne bei der Überwachung von Telefongesprächen nicht passieren.
Baker schreibt, daß es Menschen gibt, die nicht bereit seien, den key escrow agents, den über die Abhörgenehmigungen entscheidenden Gerichten, den an den vorgeschriebenen Kontrollprozeduren beteiligten Beamten oder sonst irgendjemandem zu vertrauen. Er hält einen derartigen Mangel an Vertrauen für irrational, für einen Teil von Wahnvorstellungen über einen fröhlichen High-Tech-Anarchismus und für die späte Rache derjenigen, die nicht nach Woodstock gehen konnten, weil sie zu viele Hausaufgaben zu erledigen hatten.
Es sei eine vollkommen unzutreffende Vorstellung, unentschlüsselbare Verschlüsselung könne in Zukunft eine unerläßliche "Waffe" für Freiheitsrechtler und Freiheitskämpfer werden. Unbeschränkte Benutzung von Kryptographie nutze vor allem Verbrechern, die damit ihre Straftaten vor der Polizei verheimlichen könnten. Daher könne die Gesellschaft nicht das Risiko eingehen, sie zuzulassen.
Baker bezeichnet diese Vorstellung als nicht völlig falsch, betont jedoch, daß sie eher ein Argument für den Clipper-Chip als gegen ihn sei. Mit diesem Chip könne sich jeder B&uum;lrger gegen unbefugtes Mithören seiner Telefongespräche - zum Beispiel durch neugierige Nachbarn - schützen.
Weitaus gröszlig;er als das Problem der Geheimhaltung von Daten sei in einer digitalisierten Welt jedoch die umfangreiche freiwillige Weitergabe von persönlichen Daten. Durch die geringen Kosten der Übermittlung und Speicherung von Daten werde die Privatsphäre des einzelnen Bürgers weitaus mehr gefährdet, da es leicht möglich sei, daß viele Informationen in die falschen Hände gelangten.
Viel wichtiger als eine Verschlüsselung sei, daß beide Teilnehmer an einer Kommunikation sicher wüßten, daß (nur) der beabsichtigte Gesprächspartner die übermittelten Informationen bekomme. (Frage: Ist das nicht gerade Sinn und Zwecke einer Verschlüsselung zum Beispiel unter Benutzung von PGP?)
Baker bezeichnet es als frustrierend, daß ein derartiger Verdacht immer wieder geäußert wird. Die Regierung habe immer und immer wieder betont, die Benutzung des Clipper-Chips sei vollkommen freiwillig. Die Vorstellung, die gewünschten Abhörerfolge könnten nur bei einem Zwang zu seiner Benutzung erzielt werden, sei völlig falsch.
Bisher hätten nur sehr wenige Kriminelle Zugang zu kryptographischen Produkten und würden davon Gebrauch machen. Für organisierte Banden wäre es ein enormer finanzieller Aufwand, alle Bandenmitglieder mit Verschlüsselungssystemen auszustatten. (Frage: Fällt dieser Aufwand angesichts der riesigen Gewinne, die zum Beispiel die Rauschgiftmafia Jahr für Jahr durch ihr kriminelles Handeln erzielt, wirklich so sehr ins Gewicht?)
Äußerst beunruhigend für die Strafverfolgungsbehörden wäre jedoch eine Welt, in der nicht zu knackende Verschlüsselungsverfahren weit verbreitet sind und zum täglichen Alltag gehören. Wenn jedes Telefon und jedes Faxgerät mit einem "Verschlüsselungsknopf" ausgestattet sei und dieser ohne weiteres Nachdenken bei jeder Benutzung gedrückt würde, dann würde auch jeder Kriminelle davon Gebrauch machen, und die Polizei hätte überhaupt keine Chance mehr, Verbrechern durch Abhören ihrer Kommunikation auf die Schliche zu kommen.
Daher sei das System der key escrow encryption die einzige Alternative. Kriminelle würden in diesem Fall nicht auf die allgemein verfügbaren Geräte zurückgreifen können, um Abhörmaßnahmen der Polizei zu entgehen. Statt dessen müßten sie mit großem Aufwand ihre eigenen Verschlüsselungssysteme aufbauen: Niemand würde ein entsprechendes Gerät nur für den Verkauf an eine Mafia-Familie entwickeln und auf den Markt bringen.
(Anmerkung: Hier wird deutlich, daß die NSA entgegen ihrer Beteuerungen doch davon ausgeht, daß der Clipper-Chip - obwohl seine Benutzung freiwillig ist - über gesellschaftliche Zwänge zum allgemein benutzten Standard werden wird. Bakers Äußerungen lassen deutlich erkennen, daß nach Ansicht der NSA dann jeder unter Verdacht stehen wird, ein Krimineller zu sein, der ein anderes Verschlüsselungssystem benutzt!)
Baker sieht in diesem Fall Gefahren durch den Mißbrauch kryptographischer Produkte gegeben, wenn zum Beispiel Firmen ihren Mitarbeitern derartige Programme zur Verfügung stellen und diese sie mißbrauchen, zum Beispiel um Kunden zu betrügen oder illegal Kundendaten aufzeichnen, verschlüsseln und weitergeben. Die Folge wären Prozesse der Kunden gegen die betreffende Firma, und diese werde wiederum den Hersteller der Kryptographie-Software verklagen. (Frage: Ist das wirklich ein Problem, das mit der Verschlüsselung zusammenhängt?)
Außerdem habe die Regierung auch bisher den Markt der kryptographischen Produkte bestimmt, da ihre Entwicklung und ihr Gebrauch in den meisten Fällen von der Regierung gesteuert, gefördert und finanziert worden sei. Die Entwicklung guter Verschlüsselungsprodukte sei teuer, daher sei die Regierung in praktisch allen Fällen auf diesem Gebiet Vorreiter. Daher sei es nur ganz natürlich, wenn sie auch die Standards setze - und man könne wohl kaum erwarten, daß die Regierung es hinnehme, wenn unter Benutzung der von ihr selbst entwickelten Produkte die Strafverfolgungsbehörden an ihrer Arbeit gehindert würden.
Baker stellt dieser Aussage entgegen, daß die NSA auch die Aufgabe hat, Verschlüsselungsprodukte für die US-Regierung zu entwickeln. Dadurch verfüge sie über die größte Erfahrung und Sachkenntnis auf diesem Gebiet und sei am besten in der Lage, für die einheimische Bevölkerung sichere Verschlüsselungsprodukte zu entwickeln. Die NSA von dieser Aufgabe auszuschließen hieße, dieses schwierige technische Problem quasi mit auf dem Rücken zusammengebundenen Händen lösen zu wollen.
Baker hält diesen Vorwurf für mittlerweile überholt, da seit der Ankündigung der Clipper-Chip-Initiative durch die Regierung im April 1993 Industrie und Öffentlichkeit genügend Zeit hatten, sich Informationen über die Details zu beschaffen und ihren Meinungen und Interessen Gehör zu verschaffen. (Ein perfides Argument des NSA-Mannes Baker: Schließlich hat die NSA selbst ebendiese Bekanntmachung von Details immer wieder verweigert, unter Berufung darauf, daß ihre Geheimhaltung eine Frage der nationalen Sicherheit sei!)
Baker betont, daß zu diesem Thema eine Reihe von öffentlichen Anhörungen stattgefunden haben, der Nationale Sicherheitsrat mehrmals Treffen mit Vertretern der Industrie abgehalten hat und das Department of Commerce 60 Tage lang der Öffentlichkeit die Gelegenheit gegeben hat, ihre Meinung über die vorgestellten Planungen zu äußern. Nach allen diesen Beratungen habe die Regierung sich entschieden, an dem geplanten System festzuhalten - nicht, weil sie damit eine allgemeine Begeisterung ausgelöst hätte, sondern, weil niemand in der Lage gewesen sei, unter Wahrung der Interessen aller Seiten einen besseren Vorschlag zu machen.
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