Wie alles begann...

Die Einführung des Clipper-Chips durch die US-Regierung




Am Beginn der gesamten Clipper-Chip-Diskussion stand die Veröffentlichung einer Pressemitteilung des Weißen Hauses, die von der dortigen Pressestelle am 16.April 1993 veröffentlicht wurde. Durch dieses Dokument erfuhr die amerikanische Öffentlichkeit zum ersten Mal von der Entwicklung des Clipper-Chips und den Plänen, ihn zum neuen Standard für die Verschlüsselung digitaler Kommunikation zu machen.

In diesem Papier (der obige Link weist auf eine elektronische Kopie) wird im Auftrag von Präsident Clinton eine gemeinsame Initiative von Regierung und Industrie angekündigt. Sie soll die Sicherheit von Telefongesprächen gegen illegales Abhören verbessern, gleichzeitig aber die Abhörmöglichkeiten der Strafverfolgungsbehörden nicht einschränken.

Die Regierung beklagt dabei, daß bisher auf diesem Gebiet keine Zusammenarbeit mit der Industrie stattgefunden habe. Der Einsatz von Verschlüsselungssystemen habe in den letzten Jahren eine immer größere Verbreitung gefunden. Dabei habe sich jedoch das Problem ergeben, daß kryptographische Produkte nicht nur zu legalen Zwecken eingesetzt werde, sondern auch bei der Vorbereitung und Ausführung von Straftaten.

Dieses Problem wolle die Regierung nun durch die Einführung des neuentwickelten Clipper-Chips lösen. Dieser Chip könne sehr einfach und zu einem relativ niedrigen Preis in jedes neue Telefon eingebaut werden und verschlüssele digitale Kommunikation unter Benutzung eines der stärksten existierenden Algorithmen.

In wenigen Worten wird das einzurichtende Treuhändersystem (key escrow system, 7. Textabsatz) beschrieben. Nur mit zwei geheimen, von Chip zu Chip verschiedenen Codeschlüsseln, die in zwei verschiedenen Datenbanken abgelegt werden sollen, könnten die Strafverfolgungsbehörden jeden Clipper-Chip abhören. Zu diesem Zeitpunkt ist noch nicht festgelegt, welche Behörden die beiden key escrow agents sein werden.

Die Regierung betont mehrfach, daß das neue System für den einzelnen Bürger nur Vorteile bringen werde, da es eine sichere Verschlüsselung privater und geschäftlicher Kommunikation ermögliche. Getroffen würden nur Kriminelle, deren Telefongespräche dann von der Polizei zur Aufklärung und Verhinderung von Straftaten abgehört werden könnten. Dies diene ebenfalls der Sicherheit der übrigen Bevölkerung.

Interessant ist, daß das Weiße Haus mit keinem Wort erwähnt, daß der Clipper-Chip vom Geheimdienst NSA entwickelt wurde. Die Rede ist lediglich von Ingenieuren im Dienste der Regierung ("government engineers", 5. Textabsatz). Offenbar wollte man an dieser Stelle eine Beunruhigung der Öffentlichkeit vermeiden, indem die NSA nicht erwähnt wurde. Wenn Mitglieder der Regierung wegen des Mißtrauens gegenüber dem Geheimdienst eine negative Aufnahme des von ihm entwickelten Clipper-Chips befürchteten, hatten sie damit sicher nicht unrecht.




Im Zusammenhang mit dem oben genannten Text wurde am selben Tag eine weitere Pressemitteilung veröffentlicht (der vorliegende Link weist auf eine Kopie auf einem Server des NIST). Sie enthält Hintergrundinformationen und erklärt in einer auch für Laien vsrständlichen Sprache, welchen Zweck der Clipper-Chip erfüllen soll.

Zunächst wird die Bedeutung von Verschlüsselungsverfahren für die Sicherung privater und geschäftlicher Kommunikation verdeutlicht. Dann wird erklärt, warum ein negativer Einfluß auf die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden befürchtet wird. Der Clipper-Chip wird als die Lösung für beide Probleme angepriesen.

Es folgt eine kurze (und ziemlich unbefriedigende) Erklärung, durch welche Sicherheitsmaßnahmen garantiert werden soll, daß die Codeschlüssel nicht in falsche Hände geraten können. Dieser Absatz enthält allerdings auch einen Satz, der folgendermaßen interpretiert werden kann: Der Einbau des Clipper-Chips soll von der Regierung für jegliche neue Kommunikations-Hardware mit Verschlüsselungs-Kapazitäten vorgeschrieben oder zumindest vehement eingefordert werden. In der ersten Pressemitteilung war noch von einem freiwilligen Programm die Rede. Die Möglichkeit eines gesetzlichen Zwanges zur Benutzung des Clipper-Chips wurde sehr schnell von aufgebrachten Bürgerrechtlern kritisiert und bildet seither einen der Hauptstreitpunkte in der Diskussion um den Chip.




Kurze Zeit später veröffentlichte das Weiße Haus eine Liste mit Fragen und Antworten zum Clipper-Chip. Offenbar sah man sich bereits nach einigen Tagen dazu gezwungen, die Clipper-Initiative gegenüber massiver Kritik zu verteidigen. Der Text versucht, sachlich zu wirken, und trifft mehrere Aussagen zu den Zielen der Kryptographie-Politik der Regierung. Diese Aussagen werden seither von den Clipper-Chip-Befürwortern immer wieder stereotyp wiederholt und von seinen Gegnern ebenso hartnäckig angezweifelt.

Anzumerken ist, daß auch dieser Text mit keinem Wort erwähnt, daß der Clipper Chip von der NSA entwickelt wurde. Auf die selbstgestellte Frage, wessen Idee die Einführung des Chips gewesen sein, antwortet die Regierung mit dem Satz: "The National Security Council, the Justice Department, the Commerce Department, and other key agencies were involved in this decision." Diese Formulierung legt die Vermutung nahe, daß der Autor des Textes die Beteiligung des Geheimdienstes vor der Öffentlichkeit verbergen wollte, ohne jedoch im Nachhinein als Lügner dazustehen, wenn jemand herausfinden würde, daß eine dieser "other key agencies" die NSA ist.




Es dauerte bis zum 15. September 1993, bis die Regierung festgelegt hatte, welche Behörden die beiden Treuhänder für die Codeschlüssel der Clipper-Chips sein würden. Ein Bericht über ein Briefing für Mitarbeiter des US-Kongresses (der die beiden Häuser des Parlamentes - den Senat und das Repräsentantenhaus - umfaßt) enthält unter anderem die Information, daß das National Institute of Standards and Technology und eine noch nicht näher bestimmte Abteilung des Treasury Departments diese Aufgabe erfüllen sollen. Dabei handelt es sich allerdings um eine vorläufige Entscheidung ("tentatively", im 2 Absatz des Berichtes).

Dieser Text beschreibt sehr genau die vorgeschriebenen Prozeduren, die bei einer gerichtlich genehmigten Abhöraktion durchgeführt werden müssen. Auf eine Übersetzung wurde hier verzichtet, da der Bericht über 400 Zeilen umfäßt und ein derart erheblicher Aufwand sich an dieser Stelle nicht lohnen würde.

Die entgültige Festlegung der beiden key escrow agencies wurde erst am 4. Februar 1994 bekanntgegeben. Das dem Department of Commerce zugehörige NIST wurde in seiner Funktion als Treuhänder bestätigt; als zweite Behörde wurde tatsächlich eine Abteilung des Treasury Departments - die Automated Systems Division - ausgewählt. Als wichtigste Begründung für diese Auswahl wurde angegeben, daß diese beiden Stellen über die Möglichkeit zur sicheren Verwahrung der gespeicherten Codeschlüssel verfügen.

Die Bekanntmachung vom 4. Februar 1994 enthält gleichzeitig auch die offizielle Veröffentlichung der Vorschriften für polizeiliche Abhöraktionen unter Verwendung der gespeicherten Codeschlüssel. Im Prinzip sind dies die gleichen Vorschriften, die auch fünf Monate zuvor auf dem Kongress-Briefing vorgestellt wurden; der Text ist nur noch etwas länger geworden.

Bei der Auswahl der beiden Treuhandstellen fällt auf, daß diese beide der Exekutive angehören. Diese Entscheidung wurde von vielen Seiten scharf kritisiert: Sie ist ein Verstoß gegen die von der Verfassung vorgesehene gegenseitige Kontrolle der drei Staatsgewalten ("system of checks and balances").

Sogar Vizepräsident Al Gore erklärte öffentlich seine Besorgnis über diese Situation. Eine Zusammenfassung eines Interviews mit Al Gore enthält die Aussage, es handle sich um einen schwerwiegenden Fehler, den die Regierung korrigieren werde. Offensichtlich war dies eine etwas voreilige Aussage, denn bisher ist eine entsprechende Korrektur nicht erfolgt.



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